Schiller im Interview: Arktis, Web 2.0. und das neue Album „Atemlos“

Über zwei Jahre ist es her, dass Christopher von Deylen besser bekannt als Schiller für die Produktion seines Albums Sehnsucht nach Kalkutta fuhr, um sich für neue Klänge inspirieren zu lassen. Im März 2010 veröffentlicht der Wahlberliner sein lang erwartetes neues Album Atemlos, und hat auch hierfür eine spezielle Inspirationsreise durchgemacht. 30 Tracks bringt der ”Meister des Global Pop“ aus der Arktis mit, wo er vergangenes Jahr einen Monat auf dem Expeditionsschiff Polarstern verbrachte.

Um uns das neue Album vorzustellen und mit uns ein wenig über Atemlos zu plaudern, hat der 39-jährige in seine Friedrichshainer Wohnung geladen, ganz entspannt und mit gutem musikalischem Ambiente.

Ab 12.03.2010 ist das Schiller-Album "Atemlos" im Handel. © Universal Music
Ab 12.03.2010 ist das Schiller-Album "Atemlos" im Handel. © Universal Music

Inforand.de: Bei Deinem letzten Album warst Du sehnsüchtig, nun bist Du atemlos. Was hat Dich so atemlos gemacht?

Christopher von Deylen: Es gibt eine innere und eine äußere Veranlassung. Die innere Veranlassung ist die, dass ich auf dem Forschungsschiff Polarstern als Teil einer Expedition war. In einer Region, die menschenverlassen ist, und in der der Mensch der Natur ausgeliefert ist, das war für mich im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend und das ist dann umgeschlagen in den Titel ”Atemlos“.
Zweitens kann ich gewisse Antennen für die Zeit nicht ausschalten und nachdem das Jahr 2008 das Jahr der ”Sehnsucht“ – meinem letzten Album war, habe ich das Gefühl, dass wir uns nun den Luxus der Sehnsucht gar nicht so richtig leisten können, sondern wir leben in einer sehr atemlosen Zeit, Dinge verändern sich ganz schnell. Inne zu halten und Sachen in Ruhe zu überdenken ist anscheinend nicht richtig ”en vogue“. Als Antithese dazu ist die Musik von Schiller gedacht. Sie wirkt einfach so, dass sie eine innere Einkehr ermöglicht und nebenbei einen Ruhepunkt darstellt zu der allgemeinen Rastlosigkeit, die derzeit vorherrscht.

Mit Sängerin Kim Sanders, die auch auf Atemlos zu hören ist, arbeitest Du seit dem ersten Album zusammen. Kannst Du Dich noch an den ersten Moment Eurer langen Freundschaft und Zusammenarbeit erinnern?

Das ist wirklich schon lange her. Es war so, dass es einer der wenigen Momente war, in denen die Plattenfirma alles richtig gemacht hat. Kim war bei derselben Plattenfirma wie Schiller und ich habe einfach mal laut gedacht und gesagt, dass ich nach dem ersten rein instrumentalen Album auch etwas Gesang einspielen wollen würde. Damals hat man mir Kim Sanders empfohlen, die ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte. Es hat sich zum Glück zu einer so intensiven Konstante entwickelt, dass wir immer noch Musik zusammen machen. Klar, für die Fans ist es auch wichtig, dass Kim auf dem Album dabei ist, aber es muss auch inhaltlich Sinn machen und solange es noch neue Ideen bringt, machen wir weiter.

Auch Anna Maria Mühe ist dieses Mal auf Deinem Album vertreten.

Ich kannte sie zunächst gar nicht als Schauspielerin und habe sie eines Abends in einem ambitionierten Fernsehfilm gesehen. Ihre Präsenz hat mich sehr inspiriert. Da damals der Titel des Albums Sehnsucht war, fand ich, dass sie da sehr gut reinpasste. Ich prüfe immer sehr genau, ob man sich noch ein zweites Mal begegnen kann. Bei Sehnsucht war ihre Passage sehr theatralisch aber bei Atemlos habe ich ihr einen mehr lakonischen Anstrich gegeben.

Christopher von Deylen verbrachte einen Monat in der Arktis um für sein neues Album Atemlos zu forschen. © schiller-quest.de

Im Vorfeld zu den Arbeiten zu Atemlos warst Du Mitglied auf einem Forschungsschiff in der Arktis. Worum ging es in der Expedition der Polarstern?

So eine Institutuion hat ganz verschiedene Facetten. Es ist ein Zusammenschluss aus vielen Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern mit verschiedenen Disziplinen. Man unterstützt sich, um gemeinsam Ergebnisse zu erzielen – zum Beispiel im Bereich der Klimaforschung, oder in der Langzeitbeobachtung von Unterwasserphänomenen. Das ist eine sehr vielfältige Expedition. Ich musste auch richtig mitarbeiten, sonst hätte ich nicht mitfahren können. Ich bin über private Zufälle an ein Forschungsteam aus Bremen geraten. Dieses Forschungsinstitut betreibt einen Tiefseeroboter, der 4000 Meter in die Tiefe gehen kann und dort Fotografieren und Filmen kann, Bodenproben nehmen kann und sich unter Wasser umsehen kann. Wir haben gemerkt, dass es Parallelen zwischen dem Forschen und der Musik gibt: Man muss proben oder üben, man muss sich vorbereiten, man muss auch in Gruppen zusammenarbeiten. Unter der Überschrift ”Kunst trifft Wissenschaft“ war es einfach die Neugier, die uns getrieben hat.

Die Reise im Forschungsschiff Polarstern: Wie findet Musiker seine neuen Klänge?

Es geht weniger darum, dass man dort direkt Klänge findet. Ich möchte mich lediglich selbst davor bewahren, irgendwo anzukommen. Deswegen war mir die Reise auch so wichtig, weil ich mich in konstanter Veränderung halten möchte und ich es panisch vermeide, an einem Punkt anzukommen, an dem ich weiß ”wie es geht“. Ich möchte einfach keine bewährte Rezeptur einfach immer nur nachkochen und deswegen ist mir die Einschleusung neuer Eindrücke und die Einschleusung neuer Welten extrem wichtig. Deshalb mache ich auch immer wieder diese speziellen Reisen, auf denen der Weg das Interessante ist. Es geht mir dabei darum, wie fühlt es sich an, von zuhause weg zu sein, wie komme ich dort hin – im Prinzip ist es bewusstseinsverändernd. Wenn ich dann nach Hause komme, mache ich andere Musik als die, die ich gemacht hätte, wenn ich nicht dahin gefahren wäre. Ich hoffe, dass die Musik dadurch intensiver wird.

Wie muss so fern der Zivilisation Normalität neu definiert werden?

Es gab kein Internet, keine Internetverbindung und keine Emails, also war der Rest der Welt nicht existent. Man hat sich innerhalb von Stunden daran gewöhnt und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwann mal wieder anders werden könnte. Man muss sich dann auf das Hier und Jetzt einlassen. Es ist auch nicht vergleichbar mit Tour gehen – man kann in der Arktis nicht einfach sagen, ‚ich will mal alleine sein‘. Man sitzt Wochen auf einem Schiff mit Menschen die man nicht kennt und man muss damit klar kommen. Und auf einmal wird man sehr verletzbar, weil man sich in  einer Region befindet, in der man sowohl geografisch als auch menschlich nichts zu suchen hat. Man ist darauf angewiesen, mit der Natur klarzukommen.
Wir waren auch darauf angewiesen, dass es immer hell war. Es war nachts teilweise heller, als tagsüber. Vier Wochen keine Dunkelheit muss man erst mal verarbeiten. Aber die Vorstellung dessen war für mich schlimmer, als es dann im Endeffekt war. Es geht nur gut, wenn man sich fallen lassen kann.

Deine treue Fangemeinde wächst beständig seit über 10 Jahren. Wie inspirieren Dich Deine Fans? Ist hier ein Fluss zu erkennen und zu beschreiben?

Ich versuche mich von dem was meine Fans möchten oder nicht möchten zu isolieren. Die Zeiten haben sich ja auch verändert. Noch vor meiner Zeit musste der Fan dem Musiker oder Komponisten einen Brief schreiben. Da musste man im Vorfeld schon überlegen, was man auf Papier schreibt und zumindest ein Konzept haben. Dann kamen die Emails, bei denen man auch einfallsreich werden musste – was schreibt man rein, wie komme ich an die Email-Adresse. Ich habe das für mich immer sehr offen gehalten – schon von Anfang an konnte jeder auf der Webseite von Schiller eine Email an mich schreiben. Mit dem Web 2.0. kann sich nun die ganze Welt stakkato in einigen Zeichen mitteilen. Diese Mitteilungen sind öffentlich und kein direkt verfasster Brief an den Künstler. Das Internet ist ein schwarzes Brett geworden. Das macht es mir schwerer, das was dort geschrieben wurde, ernst zu nehmen – sowohl Kritik als auch Vorschläge. Ich kann nun nicht wissen, ob es sich an mich richtet oder ob es jemand nur sagt, um sich zu profilieren.
Es erfordert nun mehr Kraft als früher, mich davon abzuschirmen und die selbstgewählte Isolation zu bewahren.
Ich weiß nur noch nicht, ob ich alle Profile im Netz von mir löschen soll weil es eigentlich so oberflächlich ist, dass man darauf verzichten kann, oder ob ich die Meinung vertreten kann, es vorbehaltlos zu umarmen. Vielleicht mache ich das nun zu kompliziert, aber im Endeffekt ist es für mich am schönsten, nach dem Konzert direkt echte Menschen zu treffen – das ist mir viel lieber als ein zweizeiliger positiver Kommentar.

Der Wahlberliner hat zur Präsentation seines neuen Albums in seine Friedrichshainer Wohnung geladen. © Universal Music
Der Wahlberliner hat zur Präsentation seines neuen Albums in seine Friedrichshainer Wohnung geladen. © Universal Music

Deine Wohnung in Berlin-Friedrichshain ist sehr minimalistisch eingerichtet. Außerdem sieht man an den Wänden gar keine goldenen Platten hängen, wie ich es aus Wohnungen anderer Musiker  kenne. Sind Dir diese Auszeichnungen gar nicht wichtig?

Es gibt zwei Gründe, weshalb ich das nicht aufhänge. Um mich unterwegs zu halten, habe ich Schwierigkeiten damit, mir die Vergangenheit an die Wand zu hängen und sie zu betrachten. Was war, das war und das Hier und Jetzt ist schon schwierig genug um sich darauf einzulassen. Die Zukunft und der Weg dahin ist für mich am wichtigsten und solche Memorabilia wie Pokale oder goldene Schallplatten trüben zu sehr den Blick nach vorn. Außerdem habe ich festgestellt, dass solche Insignien einengend auf andere Menschen wirken. Menschen werden dann sofort anders, wenn sie solche Sachen an der Wand hängen sehen und ich werde mit anderen Augen betrachtet. Preise sind nicht der Grund, weshalb ich auszog, um Musik zu machen.

Wenn ich die Buddha-Figuren in Deiner Wohnung sehe, könnte ich davon ausgehen, dass Du Buddhist bist.

Nein, ich bin sehr religionslos. Aber ich finde die Aura, die den Buddhismus umgibt sehr sympathisch. Ich habe mich mit der Religion nur begrenzt beschäftigt, aber aus irgendeinem Grund wirkt es auf mich sympathisch, obwohl es eine Religion ist.
Ich lebe nicht in dem Streben nach dem Einklang. Es geht mir nicht darum, anzukommen, sondern kurz vor dem Erreichen des Einklangs zu scheitern. Das ist das konstante Ungleichgewicht, in dem ich mich befinde. Ich akzeptiere aber auch das Gegenteil.

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  1. Jörg Dutschke

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