Silly mit Anna Loos im inforand-Interview: Ost-West-Barrieren, das neue Album und die alten Fans

Silly ist Geschichte. Vor allem eine deutsch-deutsche Geschichte, die jetzt weitergeht. Jeder kennt Silly, zumindest jeder der in den 80er Jahren in der ehemaligen DDR gelebt hat. Silly waren Stars der 80er Jahre – in den Ländern des ehemaligen Ostblocks. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung und 14 Jahre nach ihrem letzten Studioalbum hat die Band um die 1996 verstorbene Tamara Danz ein neues Album eingespielt mit Schauspielerin Anna Loos als neuer Frontfrau. Mit ”Alles Rot“ – so der Titel des neuen Albums – will die wiedergeborene Band Silly Gesamtdeutschland leidenschaftlich erobern und den alten Fans ein bisschen Erinnerung geben, an die Melancholie ihrer Jugend.
Wir haben uns mit Anna Loos, Uwe Hassbecker und Ritchie Barton getroffen um über das neue Album ”Alles Rot“ und die alten Mythen zu sprechen.

Inforand.de:
Die erste Zusammenkunft zwischen den alten Bandmitgliedern von Silly und Anna Loos hat vor vier Jahren im Rahmen des Konzerts ”Silly und Gäste“ stattgefunden. Nun arbeitet ihr fest mit Anna zusammen. Könnt Ihr Euch noch an die erste Begegnung erinnern?

Anna Loos:
Die Tournee ”Silly und Gäste“ war eigentlich schon voll im Gange und ich habe zu diesem Zeitpunkt Theater gespielt. An einem meiner freien Tage war ich mit meinem Mann Jan Josef Liefers auf einer Lesung des Autors T.C. Boyle und da sprach mich ein Freund der Band an – Jörg Stempel. Er kam zu mir und sagte, ”Silly wollen wieder anfangen und starten mit vielen verschiedenen Gästesängern. Hast Du nicht Interesse, die Band kennen zu lernen und mitzumachen?“ Ich dachte, das sei ein Vollidiot, der einfach nur mal Jan Josef Liefers und mich kennenlernen will und habe das überhaupt nicht ernst genommen. Paar Wochen später bekam ich von meiner Schauspielagentur einen Anruf, ein Jörg Stempel von Silly hätte sich gemeldet. Da wusste ich, dass es doch ernst zu nehmen war. Auf einer Party standen plötzlich Ritchie und Jörg Stempel vor mir. Ich habe einen mittleren Herzinfarkt bekommen, weil ich dachte, Ritchie Barton von Silly, und da wusste ich, es ist wirklich ernst gemeint.

Silly sind: Anna Loos, Uwe Hassbecker, Jäcki Reznicek und Ritchie Barton

Richie Barton: Ich hatte Anna schon einmal gesehen und habe den Jungs von ihrem Auftritt im Musical erzählt. Ich musste mir nur noch vorstellen, wie ihre Stimme mit Silly-Songs wirken könnte. Dann haben wir uns ganz locker verabredet und haben nur mit der Gitarre am Flügel ein paar Songs zugeschnitten. Als Anna losgesungen hat, hatten wir ganz schnell das Gefühl von Vertrautheit und dass wir uns schon ewig kennen würden. Anna ging es genauso – das hat sie uns später mal erzählt. Insofern war es wirklich ”Magic“ vom ersten Moment an, fast schon schicksalhaft. Nach dem ersten kurzen Treffen mit ein paar Liedern hatten wir das Gefühl, es war eine echte Bereicherung und dieses Gefühl von, ”das ist es!“

Uwe Hassbecker: Ich möchte noch was zu der Lesung mit T.C. Boyle erzählen. Jörg Stempel hat uns wirklich immer wieder mit Anna genervt. Und wir dachten uns nur, ”bitte keine singende Schauspielerin!“
Aber beim gemeinsamen Musizieren haben wir gemerkt, dass das schwingt.

Anna: Ich habe ja lange Zeit Musik betrieben und hatte niemals das Gefühl, meine Musik gefunden zu haben. Ich habe viel englisch gesungen, aber das war nicht meine Baustelle. Ich wollte immer Musik machen, in der ich 100 %ig ausdrücken kann, was ich denke – wo die Schnittmenge eben keine kleine ist, sondern eine absolute. Als ich die Jungs getroffen habe, dachte ich, ”das ist es!“ Das habe ich in meiner Jugend gehört und jetzt kommt es zu mir zurück. Das war so ein starkes Gefühl bei mir.
Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber weder, ob ich diese Songs alle singen kann, geschweige denn, ob ich vorne auf der Bühne stehen und die Leute entertainen kann. Ich hatte keine Ahnung, ob das geht, ob ich das kann. Aber ich war so überzeugt davon, dass es gehen muss, weil es sich so gut anfühlte. Ich bin ein totaler Bauchmensch und wenn ich das schon so stark empfinde, dann muss ich das jetzt durchlaufen.

Inforand.de: Silly war auch das erste Album, das Du Dir in Deiner Jugendzeit gekauft hast und nun darfst Du mit den Jungs, die Du in Deiner Jugend gehört hast in die Fussabdrücke einer ganz Großen treten. Wie hast du Dich dem Mythos, der Tamara Danz umgibt, angenähert?

Uwe: Der Mythos um Tamara ist nach dem Tod sehr viel größer geworden.

Ritchie: Vorher hatte sie auch schon einen Mythos, aber nach ihrem Tod ist dieser gewachsen, klar!

Anna: Ich war ein riesiger Fan von Tamara Danz. Ich fand die so beeindruckend, aber an diesem Tag saßen einfach Silly vor mir – und die Jungs waren sehr lebendig. Tamara war ja auch schon fast zehn Jahre tot. Die alten Songs mussten einfach wieder gespielt werden. Tamara hat sich auf der Bühne immer die Seele auskotzt, oder sich totlacht über die Welt und hat die Menschen daran teilhaben lassen. Ich habe eigentlich nie so große Angst gehabt wie Lust. Meine Lust, es zu machen war viel größer als die Angst, es nicht zu packen. Dass es ein Stückchen Arbeit wird, war uns allen klar, aber wir haben es einfach geschehen lassen. Und nach den Konzerten kamen Leute zu mir und fragten nach Autogrammen und sagten: ”Wir sind eigentlich gekommen, um Dich auszubuhen, aber nun lieben wir Dich! Toll, dass ihr das macht!“

Ritchie: Es ist alles so gekommen, wie es gekommen ist. Wir haben mit den Konzerten ja auch den Leuten die Zeit gegeben – fast vier Jahre – den Wechsel, diesen Neueinstieg und Anna zu ”verkraften“. Außerdem brauchten wir auch selber die Zeit, miteinander kreativ zu sein, gemeinsame Schwingungen aufzunehmen. In den vielen Jahren mit Tamara hat sich ein ganz bestimmter Prozess herausgeschält und das konnten wir Anna nicht einfach so überstülpen, das mussten wir erst mal selber alles herausfinden.

Uwe: Wir mussten herausfinden, welche Wege man einschreitet.

Inforand.de: Gab es auch Negativfeedback von den alten Silly-Fans?

Uwe: Letztendlich ist es meistens so gewesen, dass viele gekommen sind, sehr kritisch waren, es sich nicht vorstellen konnten. Aber danach konnten alle Fans frohen Herzens nach Hause gehen.

Ritchie: Skepsis war schon immer da bei einer bestimmten Silly-Fangruppe.

Anna: Mit dem neuen Album geht auch eine neue Tür nochmals auf. Das Album ist 100 %ig ich – die Band und ich. Das hat noch nie jemand anders gesungen, die Sachen sind mit mir entstanden. Es ist schon ein ganz wichtiger Schritt, den wir jetzt machen.

Uwe: Es ist ein neues Kapitel der Bandgeschichte, das wir jetzt aufgeschlagen haben und das uns die Zukunft weist, ohne die Vergangenheit zu vergessen.

Ritchie: Bis letztes Jahr haben Leute, die uns auf der Bühne gesehen haben die Assoziation, Tamara stünde auf der Bühne. Das ist ab jetzt nicht mehr möglich.

Anna: Aber wir werden die alten Sachen immer wieder spielen.

Uwe: Man kann den Menschen auch nicht verübeln, dass sie Vergleiche machen. Das haben wir am Anfang auch gemacht. Aber letztendlich bringt uns das nicht weiter, denn die Option Tamara steht ohnehin nicht. Also gibt es nur die Option Zukunft und neues Kapitel mit Anna.

Inforand.de: Lasst uns mal kurz zurückgehen in die ganz alten Zeiten von Silly. Es gibt viele Songs von Euch, die einfach nur offen sind und man zum Teil nicht weiß, wie diese motiviert sind. ”Spring rüber wenn Du kannst“ aus „Instandbesetzt“ beispielsweise.

Ritchie: Ganz speziell dieser Text hat sehr leicht surrealistische Anklänge. Da muss man die Bilder offen lassen. Dieses ”Rüberspringen“ kann alles mögliche sein – wer das Rüberspringen wörtlich nimmt, dann muss er es so nehmen.

Uwe: Das war auf dem Paradies-Album. Viele fragten sich auch, wie konnte Tamara – nicht im Bewusstsein ihrer Krankheit – überhaupt so eine Vorahnung haben. Diese Zeile kann man da auch mit reinzählen, ganz deutlich sogar eigentlich. Tja, das ist uns auch ein Rätsel.

Ritchie: Das war damals auch Tamara ein Rätsel. Das Album kam noch zu ihren Lebzeiten raus – bis zu ihrem Tod waren das noch drei oder vier Monate. Wir sind speziell zu diesem Song damals von Freunden und Journalisten befragt worden, ob Tamara damals schon wusste, dass die so krank war. Das musste sie verneinen, weil es nicht so war. Letztendlich hat ihr aber unterbewusst irgendetwas gesagt, dass der Krebs in ihr ist. Somit hat etwas in ihr ganz klar gesprochen, ohne dass man es deuten konnte.

Uwe: Wir sind uns auch nicht so sicher, ob sie nicht in der letzten Zeit hier und da am Rädchen gedreht hat. Vielleicht hat sie uns Anna geschickt. Man weiß es ja schließlich nicht.

Anna: Ich finde, dass die Kunst der Lieder erst im Auge des Betrachters entsteht. Mit dem neuen Album, vor allem mit der ersten Single ”Ich sag nicht Ja“ ist aber nicht einfach so ausgewürfelt. Von uns ist das ein ganz klares Statement als erste Single, weil uns das Angepasstsein auf die Nerven geht. Es gab in der Entstehung des Albums immer wieder Probleme in den Ansichten und der Entstehung von Texten. Man stößt dabei auf Problematiken, Radiosender spielen einen Sing nicht, wenn eine Zigarette darin vorkommt. Man hat dann die Möglichkeit, die Zeile zu ändern oder zu sagen, ”Ok, dann spielen sie es eben nicht.“ Dieses Statement mit der ersten Single haben wir bewusst gewählt, das würden wir vorgeben.

Inforand.de: Was können wir von Eurem neuen Album ”Alles Rot“ erwarten? Alles rot, also alles sehr leidenschaftlich?

Uwe: Alles Rot ist ein Synonym für unseren Zustand. Es brennt in uns …

Ritchie: … aber alles leidenschaftlich ist schon gar nicht so schlecht …

Uwe: Das Licht von Silly ist ja nie ausgegangen, aber es ist nie ein großes Feuer draus geworden. Nun werden wir aber in einer großen Flamme über das ganze Land hinweg rollen.

Anna: Rot ist ja auch die Farbe von Silly …

Ritchie: … wenn man schwarz und weiß als Nichtfarben bezeichnet, ist Rot die Farbe von Silly.

Uwe: Auf jeden Fall sind wir angetreten, um in ganz Deutschland mit dem Album stattzufinden. Wir haben also ganz bewusst Tour und Stationen im Westen gewählt, wo wir in bestimmten Landstrichen weitgehend unbekannt sind, ganz im Gegensatz zum Osten. Es ist eigentlich unsere Aufgabe, unser Päckchen, das wir in die Welt tragen, wir wollen wenigstens erstmal den Westen erreichen. Mit dem Erbe, das wir haben, und mit dem neuen Album haben wir ja auch die Chance und ich denke, es gibt einige wichtige Songs, die auch im Westen gehört werden sollen.

Ritchie: Es ist ja auch schon 20 Jahre nach der Wiedervereinigung und den Begriff Ostrock kann man mittlerweile schon gar nicht mehr hören!

Uwe: Ja! Es macht mich krank, dass sich das immer noch so lange hinzieht mit dem Ost-West-Scheiß.

Anna: Ich war letztens auf der Berlinale und Roberto Benini meinte, ”es ist so lustig, in Berlin gibt es kein Nord und Süd, es gibt nur Ost und West.“ Das trifft es genau für mich.

Inforand.de: … diese Aufteilung ist in den Köpfen der Menschen immer noch bemerkbar …

Uwe: Es ist eine Generationen-Frage und wir sehen es auch als unsere Aufgabe, das aufzubrechen. Irgendwann reicht es! Das sind nun 20 Jahre und das ist eine lange Zeit.

Anna: Wir haben ja auch schon im Westen gespielt, viele kannten uns gar nicht und sind zum Teil völlig ausgetickt, weil sie alle dachten, wir wären eine ganz neue Band und alle Songs wären so neu. Ich glaube schon, dass es den Menschen gefallen wird, wenn man es ihnen erst mal gibt.

Ritchie: Das ist auch ein mediales Problem, was wir auch schon in den 90er Jahren festgestellt haben. Die Medien spielen halt nicht mit.

Uwe: Aber jetzt fängt es langsam an, dass zum Beispiel der Rundfunk auch sagt, man kann die alten Ostsongs spielen.

Anna: Dafür war es dann auch wichtig, dass man ein neues Album macht. Das war ein ganz entscheidender Schritt zu sagen ”Hier ist etwas neues“. Das Album ”Alles Rot“ klingt immer noch nach Silly, aber es ist auf jeden Fall angekommen im Hier und Jetzt – das ist Silly 2010. Mit dem neuen Album gibt es also diese Grenzen nicht mehr.

Inforand.de: Nutzt ihr nun auch die Kommunikationsmittel aus 2010 um die Barrieren in den Köpfen der Menschen zu umgehen?

Uwe: Wir werden es auf jeden Fall ausbauen …

Anna: Ich bin eigentlich ein totaler Vollidiot am Computer, aber seitdem ich die Jungs kenne, habe ich mich so rasant fortgebildet, dass mein Mann Jan Josef Liefers schon manchmal den Eindruck hat, ich brauche ihn gar nicht mehr. Mein Verständnis geht mittlerweile über das Verständnis von E-Mails hinaus. So Sachen wie Facebook und Twitter sind ja wahnsinnig große Vervielfältiger in dieser Zeit. Unser nächstes Thema ist auch, die Foren und das alles zu nutzen. Wir müssen da auch immer dran bleiben, sonst schläft das alles ganz schnell ein.

Uwe: Myspace nutzen wir aber schon seit Jahren. Facebook und Twitter wird demnächst dazukommen. Das Netz spielt für uns überhaupt eine ganz große Rolle, weil die ganze Kommunikation auf den Produktionen nur noch darüber stattfindet. Man kürzt damit zwar viele Wege ab, aber es kostet mitunter nicht weniger Zeit.

Anna: Aber es ist natürlich auch alles auf einer Ebene, wo alles fakebar ist, wo eine fiktive Welt entstehen kann. Ein Freund von uns gibt zum Beispiel nur irgendwelche unwahren Statusmeldungen auf Twitter ein und macht sich daraus einen Spaß.

Ritchie: Das ganze Freundethema finde ich auch so seltsam – es ist eine Blase und das finde ich ätzend.

Anna: Es ist eine Spielerei auf einer Informationsebene, aber wenn man anfängt, daraus sein gesellschaftliches Leben zu ziehen, dann wird es kritisch, glaube ich.

Uwe: Man darf da nicht hängen bleiben, das wird dann gefährlich.

Das erste Album seit 14 Jahren: Ab 19. März steht "Alles Rot" in den Platteneregalen

Inforand.de: Unsere Interviewzeit ist leider fast durch. Gibt es noch Themen, die Ihr speziell ansprechen wollt oder noch irgendetwas sagen wollt?

Anna: Wir haben gerade ein Video gedreht und sind selber schon ganz gespannt, wie es wird. Gestern haben wir die erste Rohversion gesehen und dafür ist es schon super. Auch beim Artwork haben wir uns viel Mühe gegeben und haben auch im Video das Artwork umgesetzt, damit man sofort versteht, dass wir einen Brand haben, ein richtiges CI.
Aber vor allem: VÖ 19. März! ”Alles Rot“ kann man schon vorbestellen.
Und noch was: Wenn uns einer der Fans mal im Radio hört, kann er gleich mal anrufen und sagen: ”Geiler Song! Spielt mehr davon!“ Das läuft immer so. Wenn die Fans anrufen und das sagen, dann nehmen die Radiosender das auch in die Rotation auf. Ich habe meine Familie und meine Freunde schon dermaßen darauf gebrieft. Also wird demnächst ein Anruf bei den Radiosendern kommen: ”Hallo, hier ist Jan Josef Liefers, können Sie den Song bitte öfter spielen?“

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